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20.4.2024 : 16:50 : +0200

 

 

Am Vorabend des Krieges

 


Die Grundproblematik wurde ja schon dargestellt, nämlich dass sich „Rußlands Drang nach eisfreien Häfen in dieser Region unweigerlich kreuzte mit Japans nicht nur defensiver Absicht, weder China noch Rußland in seinem Interessenbereich zu einer starken Seemacht werden zu lassen.“  Aus der Sicht Tokios schien es dem weit schwächeren Inselreich ganz unmöglich, die Stärkung der russischen Macht in Asien so lange weiter passiv hinzunehmen, bis sie das Übergewicht erwirkt hatte. Schon 1903 kam die Neuorganisation der japanischen Armee mit verdoppelter Streitmacht vor Vollendung, die Zahl der Kriegsschiffe hatte sich verdreifacht. Die Heeresdivisionen setzten sich nach deutschem Muster aus allen Waffen zusammen, die Truppen waren modern nach deutschen Dienstvorschriften ausgebildet. Der Generalstabschef Feldmarschall Oyama Iwao und viele seiner Kollegen waren überzeugt, dass Japan jetzt zuschlagen musste während die Transsibirische Eisenbahn und die CER noch unfertig und eingleisig waren und während sich die russische Pazifikflotte noch im Aufbau befand. Ihnen stand zu diesem Zeitpunkt eine gut trainierte und hoch motivierte Armee von 850.000 Mann zur Verfügung. 180.000 Mann befanden sich in aktivem Dienst, 200.000 in der Ersten Reserve und 470.000 im Zweiten Aufgebot.


Obwohl Japans Insellage alle Vorteile einer Verteidigung bot, mussten die Nachteile des Angriffs in Kauf genommen werden. Der Angreifer besaß den Vorteil, seine kriegsbereiten Landungskräfte rascher nach den Einsatzorten transportieren zu können, als die Verstärkungen des Verteidigers in Ostasien zur Stelle waren, die auf die eingleisige transsibirische Bahn angewiesen blieben.  Japans gravierender Nachteil bestand in der Unmöglichkeit, die unerschöpfliche Quelle der russischen Truppenzufuhr zu verstopfen. Folglich schien alles darauf anzukommen, über die zuerst erreichbaren Feindteile schnelle Siege zu erzwingen.


Unter dem strategischen Aspekt, die mit großen Opfern errichtete Armee nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen, war eine erste Landung nördlich Port Arthur, wo die stärksten Abwehrkräfte zu vermuten und die Schlachtschiffe des Ostasiengeschwaders konzentriert waren, unmöglich. Der Einwand des geringeren Risikos ließ den Weg an die Westküste Koreas in möglichster Nähe des Yalu wählen. Stand dann noch die Seeherrschaft außer Zweifel, waren die Vorbedingungen für ein Landeuntemehmen gegen Port Arthur geschaffen.


Die politische Entwicklung zum Krieg ergab sich aus dem beiderseitigen Notenwechsel ab August 1903.  Japan forderte die gegenseitige Anerkennung der Unabhängigkeit und territorialen Unverletzlichkeit des chinesischen wie des koreanischen Reiches, was auch die Mandschurei betraf. Russland verlangte die entsprechende Verpflichtung, keinen Teil des koreanischen Gebietes für militärisch-strategische Zwecke vorzusehen, das Territorium nördlich des 39. Breitengrades als neutrale Zone anzuerkennen, ebenso die Mandschurei samt ihrer Küsten als außerhalb der japanischen Interessensphäre liegend.
In Petersburg standen sich Kriegs- und Friedenspartei im Wege; die einen warnten zumindest vor einem verfrühten Waffengang, die anderen vertraten imperialistisch-wirtschaftliche Ansichten, z.T. auch aus Gründen persönlichen Profits, oder sie erachteten die revolutionären Umtriebe im Lande als größere Sorge und militärische Siege als bestes Mittel dagegen. Der russische Innenminister Plehwe formulierte es im Gespräch mit Kuropatkin so: „Aleksej Nikolaevi?, Sie kennen die innere Lage Rußlands nicht. Um die Revolution zurückzuhalten, brauchen wir einen kleinen siegreichen Krieg.“  Um den Krieg zu vermeiden, wollte die Friedenspartei den Gegner nicht durch Rüstungen reizen, aber die politischen Ziele auch nicht aufgeben. Zar Nikolaus schien seine Linie gefunden zu habe und schrieb 1903 an den russischen Statthalter im Fernen Osten, General und Vizekönig Alekseev eine Direktive:


„[to] give support to the wide activity of the Russian entrepreneurs in Manchuria ... especially in those regions which might be considered important in a military and political sense,“ und „in a minimum time, and without concern over the necessary expenditures, to put our military preparedness in the Far East in equilibrium with our political-economic aims, thus giving an obvious proof to everyone of our decisions to defend our rights to the exclusive influence in Manchuria.“


Allerdings war er sich im klaren darüber, dass ein Krieg zu diesem Zeitpunkt sehr ungelegen käme: „[...]war is unquestionably undesirable“ und „Time is Russia’s best ally. Every year strengthens us.“  In Militärkreisen mag mancher mit Geringschätzung auf die Japaner herabgeschaut haben.  Vor allem die schnellen und leichten Siege in der Mandschurei während der Boxer Rebellion blendeten die Militärs und ein Gefühl machte sich breit, dass ein russischer Soldat soviel wert sei wie zehn Asiaten. Keinesfalls betraf das den designierten Oberbefehlshaber des Mandschurei-Heeres General Kuropatkin, den ehemaligen Kriegsminister. Im Bewusstsein der unzureichenden militärischen Vorbereitung des Feldzuges verzichtete er von vornherein auf die Offensive.


In Tokio herrschte feste Entschlossenheit, die Entscheidung nicht weiter hinauszuschieben, damit der Rüstungsvorsprung nicht wieder verloren ging. Am 6. Februar 1904 wurden schließlich die diplomatischen Beziehungen abgebrochen.

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